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Einladung zum spanischen Literaturgespräch in Kassel


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Heute hat mich eine Einladung zu einem spanischen Literaturgespräch in Kassel erreicht. Ich werde leider nicht daran teilnehmen können, aber falls der ein oder andere doch Zeit und Interesse hat, gebe ich die Einladung hier gerne in Interessierte weiter.

Liebe Freunde der spanischen Sprache und Kultur,
 
am Donnerstag, 3. Juli, findet um 18 Uhr im Verlag Winfried Jenior (Marienstraße 5, Eingang im Hof) ein Gespräch über Literatur in spanischer Sprache statt. Das Thema dieses Abends wird der kürzlich verstorbene Autor Gabriel García Márquez und sein Werk sein. Bei Wein, Wasser und Tapas wollen wir uns mit seinem Hauptwerk „Hundert Jahre Einsamkeit“ und anderen Büchern beschäftigen.
Es sind auch alle willkommen, die nur wenig Spanisch verstehen. Bei Interesse können weitere Abende folgen, die Themen sind offen (Literatur, Kultur Spaniens und Lateinamerikas – Film?). Zur Einstimmung füge ich einen kurzen Text über García Márquez an, diesmal in deutscher Sprache. Wie wir dann weiter vorgehen, besprechen wir am 3.7.
 
Herzliche Grüße    Winfried Jenior
 
Im Folgenden ein Text von Michi Strausfeld über Gabriel García Márquez
 
Gabo – Eine Erinnerung
Michi Strausfeld ist heute vielleicht die weltweit anerkannteste Kennerin lateinamerikanischer Literatur und scoutet für S. Fischer. Sie arbeitet mit zwei Nobelpreisträgern – Octavio Paz und Mario Vargas Llosa –, aber begonnen hat ihre Liebe zur Literatur des Kontinents mit dem dritten: Gabriel García Márquez.

Michi Strausfeld, Hispanistin, Anglistin, Romanistin, promovierte über Gabriel García Márquez und den neuen Roman Lateinamerikas. Herausgeberin zahlreicher Anthologien und Materialienbände, u.a. ›Schiffe aus Feuer‹. Sie lebt in Berlin und Barcelona. Im Mai 2012 wurde Michi Strausfeld von der Buchmesse Buenos Aires auf die Liste der 50 wichtigsten Personen für die spanischsprachige Kulturwelt aufgenommen.
Gabo: 1927-2014

Eine Erinnerung von Michi Strausfeld

Gründonnerstag, 12.08 Uhr: Gabriel García Márquez ist in seinem Haus in Mexiko gestorben. Weltweit wird der »Magier des Wortes« seitdem betrauert, ein Laubsturm fegt durch alle Zeitungen, sämtliche Medien berichten, lassen Freunde zu Wort kommen, untersuchen die Beziehung zwischen Literatur und Macht in Leben und Werk des Autors. Im Heimatland wird Staatstrauer angeordnet, die Präsidenten von Kolumbien und Mexiko nehmen Seite an Seite an der Trauerfeier im Palacio de Bellas Arte in México D.F. teil, in der Kathedrale von Bogotá findet eine staatliche Ehrenfeier statt, die FARC-Guerilla verspricht feierlich, die Friedensverhandlungen mit der Regierung fortzusetzen im Sinne Gabos ... Ja, da fällt es schwer – nein, es ist unmöglich, den vielen Hommagen noch etwas Neues hinzuzufügen. Also kann ich nur in die eigenen Erinnerungen eintauchen, meine kleine Geschichte erzählen.

Barcelona, 1970. García Márquez lebte seit zwei Jahren in der Stadt, in der C/Caponata 6 im Viertel Sàrria. Dank der Vermittlung von Freunden kam es zu einer ersten Begegnung im Restaurant Amaya, auf den Ramblas in der Nähe des Hafens – ein Lieblingslokal des Autors. Ich hatte die wahnwitzige Idee, eine Doktorarbeit über ›Hundert Jahre Einsamkeit‹ schreiben zu wollen, über diesen Roman, der erst 1967 erschienen war und bereits Millionen Leser in ganz Lateinamerika in seinen Bann geschlagen hatte. Gabo zeigte keinerlei Wertschätzung für wissenschaftliche Arbeiten, im Gegenteil, er tat vielfach kund, dass die Welt der Universitäten und Akademien ihn langweile. Aber: Ich war die erste Person, die ihm ein solches Anliegen unterbreitete, und das schien ihm zum einen zu gefallen, zum anderen dachte er vermutlich: Daraus wird nie etwas.

Was tut man, wenn man seinem Idol plötzlich gegenüber sitzt? Während des Essens wagte ich kaum einen Satz zu sagen, Gabo unterhielt sich mit den anderen, war zurückhaltend und nur dann lebhaft, wenn das Thema politisch wurde: das sich hinschleppende Ende der Franco-Diktatur. Vermutlich sammelte er Impressionen für die Arbeit am neuen Roman, ›Der Herbst des Patriarchen‹. Bevor wir uns trennten, stellte er mir ein paar Fragen und sagte dann, wenn ich aus Kolumbien zurückkäme (dort wollte ich mich kundig machen über das Land und seine Geschichte, dazu diverse Schauplätze besuchen – Aracataca und Barranquilla, Cartagena de Indias und den Magdalena-Fluss, die Bananenplantagen usw.), könnte ich mich wieder melden.

Zwei Jahre später war ich zurück in Barcelona. Inzwischen hatte ich meterweise Literatur aus ganz Lateinamerika gelesen und ausgiebige Recherchen und Reisen gemacht. Vor allem hatte ich die Geschichte Kolumbiens der letzten »hundert Jahre« studiert, die in deutschen Geschichtsbüchern nicht einmal als Fußnote existierte. Lateinamerika: der unbekannte Kontinent. Bei der teils akribischen Suche nach der »Wirklichkeit« hatte ich herausgefunden, dass der viel beschworene »magische Realismus« im Roman auf harten – und uns unbekannten – Fakten gründete. Ich war völlig überrascht, dass das Werk die gesamte Geschichte des Landes enthält: von seiner Entdeckung und Eroberung über die Kolonialzeit, die Gründung der Republik, den Beginn des Imperialismus (Bananenplantagen der United Fruit Company) bis hin zur Gegenwart.

Als ich García Márquez wieder traf, berichtete ich stolz von meinen neuen Erkenntnissen, wagte aber weiterhin nicht, ihm Fragen zum Roman zu stellen (ich hatte etliche). Er seinerseits schien sich vorgenommen zu haben, meine unverändert bescheidenen Kenntnisse über den Zustand des Kontinents und die Politik der USA, Lateinamerika als ihren Hinterhof zu behandeln, zu verbessern. Nachträglich glaube ich, dass dies seine Art war, mir bei der Arbeit zu helfen: Ich sollte einfach wissen, dass die neue Literatur Lateinamerikas, dass vor allem die Romane den Lesern nicht nur großartige Lesefreuden schenkten, sondern auch Wissen vermittelten, das kein Geschichtsbuch lieferte.

In den nächsten beiden Jahren trafen wir uns häufiger. Es war die Zeit der Regierung Allendes, der Finanzierung seiner Gegner durch die CIA (was damals niemand wusste und García Márquez genau erklärte), schließlich des Putsches: bewegte Zeiten. Erste Exilanten kamen nach Barcelona, berichteten von Verfolgung, Folter und Toten. Gabo betonte die Bedeutung von Information –  dass man die Kontrolle der Medien und Presseagenturen durch die USA bekämpfen müsse, dass der Journalismus eine herausragende Bedeutung habe.

Inzwischen verstärkten sich auch die Unruhen in Argentinien und Uruguay, und das alles war natürlich wichtiger als jedes Gespräch über den Fortschritt meiner Dissertation, die Suche nach einem Professor in Deutschland, der bereit war, eine solche Arbeit zu akzeptieren (der Kolumbianer Rafael Gutiérrez Girardot, Professor in Bonn, war schließlich einverstanden, obwohl er nicht verstand, warum ich unbedingt eine Arbeit über García Márquez schreiben wollte: Der Ruhm des Autors war noch nicht nach Deutschland vorgedrungen, und er selbst hielt Borges und andere Argentinier für weitaus wichtiger).

Jede Begegnung war ein Erlebnis. García Márquez erzählte gerne von seiner Liebe zur Musik (Béla Bartók, Bach, Mozart) oder von der Schönheit des »vallenato« (populäre kolumbianische Musik, in der ganze Geschichten gesungen werden), vom bewundernswerten Juan Rulfo und sogar von der Bedeutung Faulkners für sein Werk. Meist waren das nur Nebensätze, denn die Scheu, über Literatur oder gar die eigene Arbeit zu sprechen, blieb unverändert. Also keine Fragen.

Manchmal ging es um Deutschland, ich klagte stets, wie schwer es sei, Interesse für die lateinamerikanische Literatur zu wecken. Gabo hätte so viel helfen können: Warum wollte er keine Einladung annehmen? Da erzählte er von seiner Teilnahme an einem Seminar des Instituts für Auslandsbeziehungen, das Günter W. Lorenz organisiert habe. Es sei so schlimm gewesen, dass er sich geschworen habe, nie wieder öffentlich in Deutschland aufzutreten. Daran hat er sich leider gehalten.

Als ich eines Tages sagen konnte, ich habe abgegeben, kommentierte er mit einem Lachen: Ich hoffe, du hast das nach innen gewendete E im Titel bemerkt, im Wort Einsamkeit (soledad). Leider hatte ich mit der Erstausgabe gearbeitet, und da gab es ein Schiff auf dem Umschlag. Erst die 2. Auflage (vom mexikanischen Künstler Vicente Rojo gestaltet), zeigte in der Typographie des Umschlags das introvertierte E. War das nicht ein wenig gemein?
Die Bedeutung der Einsamkeit der Figuren, vor allem die Einsamkeit der Macht, drückt vielleicht eins der stärksten Bilder des Romans aus: Oberst Aureliano Buendía sitzt allein in einem Kreidekreis, zu dem niemand Zutritt hat, nicht einmal seine Mutter. Ihn friert, er trägt eine Decke, und das in der Hitze der Tropen: D.h. die Macht ist kalt, sie isoliert, und sie ist unüberwindbar. In der Nobelpreisrede sprach García Márquez von der Einsamkeit Lateinamerikas – es war sein immer wiederkehrendes Thema. Ist der Kontinent verurteilt zu weiteren hundert Jahren Einsamkeit?

1975 erschien der Roman ›Der Herbst des Patriarchen‹ – und ich war soeben promoviert worden. Gabos Zeit in Barcelona ging zu Ende, die Familie zog wieder nach Mexiko. Er schenkte mir ein erstes Exemplar mit den Worten: Du bist ja nun fertig, also kannst du dich jetzt mit diesem Roman beschäftigen, denn er ist wichtiger, schwieriger und schöner als ›Hundert Jahre Einsamkeit‹.
Daran habe ich mich nicht gehalten, aber alle Bücher von Gabo geliebt und verschlungen.  (Michi Strausfeld)
 
Winfried Jenior - Verlag und Antiquariat
BUCH & KUNST LOFT  -  Librería El Patio
Marienstr. 5   -   D-34117 Kassel

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